Sorgerecht - Streit um Impfungen

May 18, 2022

Der Schutzimpfungsfall des BGH (BGH XII ZB 157/16)

Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt für ihre 2012 geborene Tochter. Der Vater befürwortet Schutzimpfungen gem. den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission am Robert Koch Institut (STIKO). Die Mutter lehnt solche Impfungen aus Angst vor Impfschäden ab. Das Kind lebt bei der Mutter.

Der Vater wollte seine Tochter trotz der Ablehnung der Mutter impfen lassen und zog deshalb vor das Familiengericht.

Der BGH stellt in seiner Entscheidung klar:

(1) „Eine Impfung kann entweder als Angelegenheit des täglichen Lebens eingeordnet werden. Folge dieser Einordnung wäre, dass der Elternteil bei dem sich das Kind gerade aufhält alleine darüber entscheiden kann, ob das Kind geimpft wird oder nicht, § 1687 Abs. 1 BGB. Oder eine Impfung stellt eine Angelegenheit von so erheblicher Bedeutung für das Kind da, dass darüber beide Eltern zu entscheiden haben.

Der BGH stellte zu dieser Frage klar, dass auch Standard oder Routineimpfungen eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind sind. Der BGH begründet diese Entscheidung damit, dass sowohl Impfschäden als auch die Gefahr aufgrund mangelnden Impfschutzes an einer Infektion zu erkranken diese Einschätzung gebieten würde.

(2) Wegen der unterschiedlichen Ansichten der Eltern liegt eine Patsituation vor, in der es für das Kind keine Entscheidung gibt. Nach § 1628 Satz 1 BGB darf und muss in einer solchen Situation das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung dem Elternteil übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.

(3) Die Entscheidung ob eine Impfung dem Wohl des Kindes besser gerecht wird oder die bewusste Entscheidung die Impfung gerade nicht durchführen zu lassen, erfordert medizinische Sachkunde, die das Familiengericht im Regelfall nicht hat. Gleichwohl so schon das OLG wörtlich: „Sei die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich, weil von den Empfehlungen der STIKO auszugehen sei. Diese würden nach dem Stand der Wissenschaft entwickelt und fortgeschrieben. Wie der BGH im Rahmen der Arzthaftung dargelegt habe, liege den behördlichen Impfempfehlungen das öffentliche Interesse einer Grundimmunisierung der Gesamtbevölkerung zur Vermeidung einer epidemischen Verbreitung von Krankheiten zugrunde. Dabei habe durch die Gesundheitsbehörden eine Abwägung zwischen den Risiken der Impfung für den Einzelnen und seine Umgebung auf der einen und den der Allgemeinheit und dem Einzelnen drohenden Gefahren einer Nichtimpfung auf der anderen Seite bereits stattgefunden. Dem sei im Hinblick auf die Impfempfehlungen der STIKO zu folgen. Diese könnten als Richtschnur bei der Definition der Gesundheitsbelange dienen, soweit diese das Kindeswohl mitbestimmten.“

Der BGH schließt sich dieser Meinung an und führt wörtlich aus:

„Die Ständige Impfkommission ist beim Robert-Koch-Institut eingerichtet. Sie hat als sachverständiges Gremium gemäß § 20 Absatz 2 Satz 3 FSG die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben und Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln. Zweck des Infektionsschutzes ist es, übertragbare Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (vgl. § 1 1 Absatz IFSG). Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl. Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben sie einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind – wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist – von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert. Die Impfempfehlungen der STIKO sind in der Rechtsprechung des BGH als medizinischer Standard anerkannt worden. Daran nimmt die den Empfehlungen zugrunde liegende Einschätzung teil, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt.“

Fazit:

Mit der Entscheidung des BGH ist zum einen klar, dass kein Elternteil ohne Zustimmung des anderen Elternteils sein Kind impfen lassen darf. Können sich die Eltern nicht einigen, werden die Familiengerichte dem Impfbefürwortet die Entscheidungsgewalt zur Impffrage alleine übertragen, solange keine besonderen Impfrisiken im Einzelfall gegeben sind.